Gerhard Fischer
LIEBESRASEREI · Alban Berg: Charles Baudelaire
I
Die Lyrische Suite lässt Alban Berg mit 931 Takten für Hanna zu einem kleinen Denkmal einer grossen Liebe emporwachsen. Alle diese Töne, die zwei Geigen, eine Bratsche und ein Violoncello erzeugen, vernimmt man als eine erektile Bewegung, als leidenschaftliches Crescendo.
Das zartgliedrige Musikkunstwerk ist unweit der Morgenröte, in Atemangst und in einer vibrierenden Überspanntheit zum Abschluss gekommen: «30. September 1926, 1 Uhr nachts (Morgen einer Asthmanacht)» lautet die lakonische Eintragung am Ende des VI. Satzes der Partitur.[1]
Im Mai des Jahres 1925 sind Alban Berg und Hanna Fuchs-Robettin einander in Prag begegnet. Im Rahmen des Festivalsder internationalen Gesellschaft für neue Musik wird der Komponist in der Stadt an der Moldau Drei Bruchstücke für Gesang und Orchesteraus der Oper Wozzeck unter der Leitung von Alexander Zemlinsky zur Aufführung bringen. Einer Einladung von Hanna und Herbert Fuchs-Robettin folgend, nimmt Alban Berg in der noblen Villa der Familie Quartier. Hell und warm ist der Lichteinfall im Haus Prag- Bubeneč No 593, als es Alban Berg in Begleitung seiner Frau Helene am 14. Mai betreten und am 21. Mai wieder verlassen wird.
Bei Bergs erstem Besuch im Hause Fuchs-Robettin im Mai 1925 waren eine Spielzeugtrompete und ein Windrad die Geschenke an Hannas Kinder Dorothea und Frantisek. Nicht irgendein Mensch war gekommen, nein- ein berühmter Komponist aus Wien.Er spricht schön von Musik in einem vornehmen Haus, und während langanhaltender Unterhaltungen in denkbar bester Gesellschaft trinkt er limonengrünen Wein. Jeder Winkel, jede Stelle, alles im Raum ist Licht. Farben von Fayancen, Teppichen, Tapeten und Vorhängen explodieren auf der Netzhaut. Hannas Schwanenteint bannt ihn,und wenn sie ihn in stillen Zimmern ansah, so zerfloss er.
Alles Sehen, Hören, Fühlen ist durch Hanna Fuchs verwandelt. Die Ereignisse überfielen ihn, und er stand unter dem Zauber der gleichzeitig unschuldigen und wollüstigen Halluzination. Hat sich also Hanna Fuchs, indem sie Alban Berg verwandelte, selbst einen Gegenstand des Erstaunens schaffen wollen?
Die Wege von Alban Berg und Hanna Fuchs kreuzen sich immer wieder in Wien und in Prag. Aus wievielen Schauplätzen besteht die Liebesgeschichte? Im letzten Brief an Hanna Fuchs (14.12.34) spricht Berg von hunderten Plätzen in Prag, hervorgehoben werden ebenso das Hotel Excelsior am Wörthersee nahe seines Landhauses in Auen,das Grand Hotel in Wien und das Mahler Zimmer im Villenviertel Wiens auf der Hohen Warte.
Das dauernde Hinübergezogenwerden zu diesem bewunderten Geschöpf Hanna, die zu besitzen Berg mit dem unmöglichen Glück des einsamen Kindes begehrte, hatte weder einen Halt, noch gab es in jahrelanger Ausbreitung der Verführung einen beglückenden Fortschritt. Bergs Liebes- Leiden ist ausufernd wie der Nil, und die innere Unruhe ließ ihn nicht lange am Leben. Nicht zu unrecht fürchtete er, ohne ein Leben mit Hanna lebendig begraben zu sein.
Unter den 14 Briefen[2], die Alban Berg an Hanna Fuchs- Robettin (geb. Werfel) gerichtet hat, findet sich ein Schreiben vom 7. Juni 1928, dem eine kostbare Gabe beigefügt ist: die mit Eintragungen Bergs versehene Taschenpartitur der Lyrischen Suite.
Die Widmungspartitur, dieser schmale Noten- Band, dokumentiert den desir décrire, das Begehren zu schreiben.Aus den Abgründen des Begehrens bringt Berg ganz kleine und grosse Textinseln und Satzsplitter mit. Die Fläche auf der sich Bergs Sprache entfaltet, ist die Partitur des Erstdruckes (1927) der Lyrischen Suite . Der Band besteht inklusive des Porträtfotos, der Titelseite, der Vorrede von Erwin Stein und der Widmung FÜR MEINE HANNA, aus 90 Seiten. Die Sorgfalt, die Berg darauf verwendet, der Geliebten das Kompositionsprinzip der Lyrischen Suite zu erklären, zeigt den Eifer eines Besessenen. Berg benutzte drei verschiedene Stifte und Tinten, hauptsächlich rot, manchmal blau und nur im II. und VI. Satz wird auch grün verwendet. Berg verfügt über die beneidenswerte Gabe des koloristischen Ausdrucks und erhebt die Taschenpartitur zum bunt schillernden Paradiesvogel.
In der Qual und der Freude seiner Arbeit an dem Ton-und Buchstabenkunstwerk hielt Berg immer wieder inne, am liebsten hätte er vielleicht auf Gazellenleder geschrieben und die Gabe mit Kamelen übersandt. Von einer Art Rausch erfasst, wird Hanna Fuchs das Liebesobjekt bis an ihr Lebensende hüten, allein darum besorgt, die Gabe wachsen zu lassen.
Mit lyrischer Emphase inszeniert Alban Berg den Diskurs des Liebenden. Einzig daran hangelt sich die Musik entlang, von Satz zu Satz in grelleren Farben gezeichnet. Der graphische Wirbel, den Berg mit den ästhetischen Polen von Farben, Linien, Klammern und Satzstücken im II.Satz der Taschenpartitur entfaltet, gerät zu einer Augenweide der wunderbarsten Art. Wie Muscheln an versunkene Schiffe, lagern sich die bunten Farbtuschen an das schwarze Notengerüst.
Da ist das Subjekt der Lust, das in der Nähe Hannas ein Schwindelgefühl erfährt: Das drängende Flüstern der Hitze der Begehrlichkeit. Es ist spannend, zu erleben, wie Berg immer wieder dort, wo er erotische Motive abhandelt, schnell zu besessen Ton-Versuchsreihen gelangt, in denen er ein von Obsessionen zusammengesetzes Tonnetz flicht, das den Hörer süchtig machen kann.
Berg macht Hanna in der Widmungspartitur den reinen anmutigen Buchstaben zum Geschenk- in der Lyrischen Suite mutieren Hanna und Alban demzufolge zu Ton-Buchstaben. Das Verknüpftbleiben von HF (Hanna Fuchs= H- Dur, F-Dur) mit AB (Alban Berg) simuliert Berg im Ton -und Buchstabenraum der Widmungspartitur. Berg führt Hanna in der Art eines Don Juan von Takt zu Takt. Das Bimbam von H- Dur und F- Dur und deren Explosion auf dem Papier bedeuten anhalten der Zeit, Verewigung des Augenblicks. In den Zwölftonreihen erlaubt Alban Berg Hanna immer neue Stellungen einzunehmen: In dem schönsten Körper, den sie je angenommen hat, ertönt Hanna . Der Drucklegung der Taschenpartitur der Lyrischen Suite gingen viele Korrekturen voraus. Betrachtet man den langwierigen, ein Jahr dauernden Prozeß mit dem Alban Berg von der anfänglichen Komposition zur vollendeten, pulsierenden Zwölftonreihe gelangte, so stellt sich die Frage, was suchte er, intuitiv in diesem Prozeß? Er suchte eine Gestalt, die die vergängliche, lebendige Form der Liebe die er vor Augen hatte, auf Dauer eingravieren würde.
Alban Berg zimmert für Hanna Fuchs in der Lyrischen Suite eigens einen Zwölf-Ton-Raum. Vor der Tonalität scheut er gar nicht zurück, doch vor den Dissonanzen. Sein Es ist angegriffen, Fetzen treiben. In der Komposition wird er sie nach und nach wieder zusammenfügen müssen, da sein Körper an der Grenze seiner Dehnung angelangt ist.
Alban Berg hat in der Taschenpartitur im VI. Satz ein Sonett Charles Baudelaires eingeschrieben. Lange, jahrzehntelang wurde nach diesem Gedicht gefahndet, fleißige Detektivarbeit der amerikanischen Musikwissenschaft hat dieses endlich im Jahre 1976 zu Tage gefördert und als Vokaltakte enttarnt - der Vl.Satz, Largo desolato, kann nunmehr als textgebundene Musik gelten. In der Widmungspartitur glitzert wie ein Rubin in Takt 12 das mit roter Tinte eingeschriebene Poem «De profundis clamavi” aus Baudelaires Gedichtband Les Fleurs du Mal.[3]
Berg hat an der Vokalpassage des VI.Satzes - komponiert für Sopranstimme - wie an einem Edelstein gearbeitet. Notenhälse, Fähnchen und Querbalken des Notenberges sind in der Widmungspartitur schwelgerisch in rote Tinte getaucht, es ist als schufte Berg an diesen Vokaltakten12, 16, 25, 28, 30, 34 und 40 wie ein Bildhauer, der sein Inneres freizuhauen, freizulegen angetreten ist:
DE PROFUNDIS CLAMAVI
Zu Dir, Du einzig Teure, dringt mein Schrei,
Aus tiefster Schlucht, darin mein Herz gefallen.
Dort ist die Gegend tot, die Luft wie Blei
Und in dem Finstern Fluch und Schrecken wallen
Sechs Monde steht die Sonne ohne Warm
Im sechsten lagert Dunkel auf der Erde,
Sogar nicht das Polarland ist so arm,
Nicht einmal Bach und Baum noch Feld und Herde.
Erreicht doch keine Schreckgeburt des Hirnes
Das kalte Grausen dieses Eis-Gestirnes
Und dieser Nacht, ein Chaos riesengross!
Ich neide des gemeinsten Tieres Los,
Das tauchen kann in stumpfen Schlafes Schwindel!
So langsam rollt sich ab der Zeiten Spindel!
Charles Baudelaire Les Fleurs du Mal (Die Blumen des Bösen). De profundisclamavi. Umdichtung : Stefan George.[4]
Das Gedicht, das ganz einer augustinischen Stimmung der Selbstauslöschung folgt, lässt das Vernunftland der reinen Töne endgültig ins Wanken geraten. In Takt 26/27 nimmt Berg schließlich Anfang und Ende des Wagner-Tristan Motivs ins Visier. Von dort führt kein Pfad mehr zur Welt zurück. Die Liebe Tristans zu Isolde findet nur im Tode ihre Erfüllung. Ihr Mythos ist, wie Denis de Rougemont in seiner Studie über L’amour et l‘occident (1939), die ausführlichste Darstellung mittelalterlicher manichäischer Liebesvorstellung, nach der Liebe als Leidenschaft Liebe ist, die den Tod will.
In den letzten Takten der Quartettsuite verstummen die Geigen und das Violoncello,der Schlusstakt (46=2x23) gehört allein der Bratsche.Mit grüner Tinte schliesst Berg seine Gabe an Hanna «ersterbend in Liebe, Sehnsucht und Trauer», lautet die lakonische Eintragung auf der letzten Seite der Widmungspartitur.
Alban Berg, eine an Neuromantik und Ästhetizismus orientierte Existenz, war ein glühender Verehrer der poetes maudits, die sich mit Charles Baudelaire «die wunderbare Macht» teilen, «mit einer eigenartigen Gesundheit des Ausdrucks jeden verschwommenen morbiden Zustand erschöpfter Geister und trauriger Seelen festzuhalten».[5]
Berg steht Baudelaires Dolorismus ganz nahe: «Im Seelischen wie im Körperlichen habe ich immer die Empfindung des Abgrundes gehabt, nicht allein des Abgrundes des Schlafes, sondern auch des Abgrundes der Tätigkeit, des Traumes, der Erinnerung, der Begierde, des Bedauerns, der Reue, des Schönen, der Zahl, u.s.w». (Baudelaire, Journaux intimes (Tagebücher).
Das Quälerische und zugleich Genussreiche dieses Eindringens in den Abgrund des Bewußtseins, das erst in der poetischen Gestalt der Musik zu seiner Klärung und Ablösung von seiner Unmittelbarkeit der Subjektivität kommt, fand seine geniale musikalische Ausdrücklichkeit in der Komposition der Lyrischen Suite. Durch die Verflechtung der Themen Liebe und Entsagung, durch ihr so besonderes Skandieren, durch diese Folge von Kontrapunkten, die ineinander gleiten wie aufeinanderfolgende Wellen, schenkt Berg der Kammermusik des 20. Jahrhunderts neue Ausdrucksmöglichkeiten. Die Lyrische Suite entspringt dem Augenblick einer schmerzlichen Bilanz, in der die umworbene Geliebte sich dem, der seine Lebenszeit in vergeblichem Liebesbegehren aufgezehrt hat, schon in eine unerreichbare Ferne entzogen hat.
Noten
1
zurückDer vollständige Autograph – ausgeführt in Bleistift auf 14 linigen Notenpapieren- ist die früheste Niederschrift der Quartettsuite. Polychrome Explosionen in grün, rot und blau sind unter den Graphit des Bleistifts gemischt und markieren den Wuchs des Zwöfton- Werkes. Siehe Alban Berg, Lyrische Suite, Partitur, Blei und Farbstift, 57 Seiten. Inventarisiert in der Österreichischen Nationalbibliothek, Musiksammlung, Signatur Fonds 21 Berg 23/1.
2
zurückDas Briefkonvolut (1925-1934) findet sich in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, inventarisiert unter der Signatur Fonds 21 Berg: F21 Berg 3432/1-14; 3433, 3434 (2a, 2b), 3434/3, 3435/1-2. Geht man der Korrespondenz Alban Bergs mit Hanna Fuchs nach, wird das erotische Fluidum von Zeile zu Zeile nachvollziehbar, die Chronik des «alljährlichen Lebens- und Liebeszeichen-Gebens» (Brief Berg an Hanna Nov. 1932) ist in stilistischer Hinsicht ein Kabinettstück ergreifender Brief- Literatur. Die Briefe von Hanna Fuchs an Alban Berg sind nicht erhalten.
3
zurückIm Herbst 1976 entdeckte in New York der amerikanische Komponist und Musikologe George Perle bei Dorothea Fuchs, Tochter von Hanna Fuchs, vierzehn Briefe Alban Bergs und das annotierte Exemplar der LyrischenSuite. 1995 transkribierte, publizierte und kommentierte der in Hamburg lehrende Musikwissenschaftler Constantin Floros die Schriftstücke Bergs an Hanna Fuchs. Hanna Fuchs ist in New York am 1. Mai 1964 gestorben.
4
zurückDe profundi sclamavi in einer neuen Übersetzung von Simon Werle.Semantische Präzision und musikalische Plastizität zeichnen diese Übersetzung aus:
Dich die ich einzig liebe, fleh ich an um Gnade
Im finsteren Schlund, in den mein Herz fiel tiefen Fall.
In bleigefasstem Horizont ist er ein fahles All,
In dessen Düster Blasphemie und Grauen baden;
Sechs Monde ist von Sonne, die nicht wärmt, es überschwebt,
Sechs Monde dann bedeckt die Nacht es schwarz wie Kohle;
Es ist ein Land noch kahler als die Erde um die Pole;
-Kein Bach, kein Grün, kein Wald, kein Tier drin lebt!
Kein tieferes Grauen hat das Universum aufzuweisen
Als diese kalte Grausamkeit der Sonne ewigen Eises
Und diese Riesennacht, die dem uralten Chaos gleicht;
Die dumpfsten noch beneid ich aus der Tiere Reich,
Die in stupidem Schlaf nach Herzenslust sich suhlen,
So langsamdreht das Garn der Zeit sich von den Spulen!
5
zurückZit. nach Ulrich Horstmann, Elend im Elfenbein. Huysman’s «Gegen den Strich»- ein unbändiger Roman aus einer verlorenen Zeit. In : Die Zeit, Nr.40, 26. September 1991. Die l‘art -pourl’art Doktrin Huysmans hat die absolute Souveränität der Kunst gepredigt und beweist diese Selbstherrlichkeit da, wo es der schöne Schein am Schwersten hat: im Verfall und im Verwesen, im Widerwertigen und Verkommenen, im Hässlichen und Siechen. In A rebours,Gegen den Strich hält Huysman jeden verschwommenen morbiden Zustand erschöpfter Geister und trauriger Seelen fest.
Weitere Notizgruppen, Manuskripte, Notendokumente und Publikationen zu Alban Berg und Charles Baudelaire siehe: gerhardfischerworks.eu.
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